IC5P10
Scham- und Schuldgefühle können den Antragsteller daran hindern, über das Ereignis zu reden. Der zuständige Mitarbeiter sollte nicht erwarten, dass der Antragsteller Angaben zur Gewalterfahrung macht, insbesondere bei sexueller Gewalt.
Scham- und Schuldgefühle können den Antragsteller daran hindern, über das Ereignis zu reden. Der zuständige Mitarbeiter sollte nicht erwarten, dass der Antragsteller Angaben zur Gewalterfahrung macht, insbesondere bei sexueller Gewalt.
Das durch die Gewalt, die der Antragsteller erlitten hat, ausgelöste Trauma kann gravierende Auswirkungen auf die Erinnerungsprozesse haben und damit auf die Fähigkeit des Antragstellers, sich an Einzelheiten vergangener Ereignisse zu erinnern. Aussagen können zeitlich ungeordnet und unstimmig sein, oder der Antragsteller kann als Bewältigungsmechanismus vermeiden, sich an die Erfahrung zu erinnern.
Psychische Störungen können Qualität und Umfang der Informationen beeinflussen, die der Antragsteller zu übermitteln bereit und/oder in der Lage ist. Aussagen können fragmentiert, unstimmig, von der Zeitachse abgelöst und nicht vom Willen kontrolliert sein, sondern durch sensorische Impulse ausgelöst werden. Bestimmte psychische Störungen können dazu führen, dass einige Aussagen vollständig von der Realität gelöst sind. Solche Faktoren müssen bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit berücksichtigt werden.
Schwierigkeiten, klar und stimmig auszusagen, können ihre Ursache auch in medizinischen Problemen des Antragstellers und in einschlägigen Süchten haben (z. B. Einnahme starker Arzneimittel, Drogen- oder Alkoholsucht usw.).
Im Zusammenhang mit Menschenhandel und insbesondere dann, wenn die Person als Kontrollmaßnahme oder als Teil der Ausbeutung Gewalt einschließlich sexueller Gewalt ausgesetzt war, kann diese Person Schwierigkeiten haben, sich an einige Ereignisse oder an die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse zu erinnern. Die mangelnde Bereitschaft, über solche Gewaltvorfälle Auskunft zu geben, kann auch auf Scham- oder Schuldgefühlen beruhen, oder die Person ist aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen nicht bereit, Einzelheiten über den Menschenhändler zu enthüllen.
In einigen Situationen kann die Schwangerschaft sich darauf auswirken, was die Antragstellerin in ihren Aussagen ausführt. Beispielsweise können die Umstände der Empfängnis ein Bestandteil des Antrags auf internationalen Schutz sein, oder die Aussagen der Antragstellerin können Glaubwürdigkeitsfragen aufwerfen, die sich aus ihren individuellen Verhältnissen erklären lassen (kultureller und sozialer Hintergrund usw.). In solchen Fällen kann eine zusätzliche sensible Befragung erforderlich sein.
Weitere Hinweise zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit und insbesondere zur Berücksichtigung der potenziellen Auswirkungen von besonderen Bedürfnissen finden Sie im „EASO Practical Guide: Evidence Assessment“ (EASO-Praxisleitfaden: Beweiswürdigung.
Wenn die Glaubwürdigkeit eines Kindes beurteilt werden soll, muss unbedingt der Faktor Alter berücksichtigt werden. Die Ausführungen eines Kindes können unstimmig sein und unklare Ausdrücke oder Angaben enthalten, die es von Erwachsenen übernommen hat. Das Alter ist ein wesentlicher Faktor sowohl für den Zeitpunkt des Ereignisses, das das Kind erfahren hat, als auch für den Zeitpunkt, in dem es die Beweismittel beibringt (Aussagen).
Kultur, Religion und Überzeugungen des Antragstellers können bestimmen, in welcher Weise der Antragsteller soziale Rollen und Machtverhältnisse wahrnimmt, und in der er Informationen versteht, deutet und darlegt. In dieser Hinsicht sind auch andere Faktoren wie Bildung, Alter, Sprache, Geschlecht oder sozialer Status und Gebräuche wichtig.
Bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit von Beweisen für die wesentlichen Umstände sollte der zuständige Mitarbeiter berücksichtigen, dass die individuellen Verhältnisse und die besonderen Bedürfnisse des Antragstellers sich darauf auswirken können, wie er die Beweise darstellt.